Aus Das deutschsprachige Scratch-Wiki





























Die "Programmierlernsprache" Scratch ist eigentlich nur ein kleiner Teil einer schon 100 Jahre andauernden Entwicklung, die "Lernen" ganz langsam umgestaltet. Diese "Lernrevolution" hat ihre Anfänge schon bei Jean Piaget dessen Pionierarbeit in der Entwicklungspsychologie Seymour Papert
zu seiner Idee "Lernen durch Selbermanchen mit Hilfe von Technologie" inspirierte. Paperts Ideen wurden von Alan Kay
und schließlich Mitchel Resnick
weiterentwickelt.
Eine der Ideen von Papert war das „Mathematik-Land“, in das er die Lernenden reisen lassen wollte, als Analogie dazu, dass man eine Fremdsprache am besten in dem Land lernt, in dem sie gesprochen wird. Die Programmier-Lernumgebungen Logo, Smalltalk
/ Squeak-E-Toys
und Scratch sind also sozusagen nur Versuche, ein solches Land zu schaffen. In diesem Land lernt man nicht "um zu lernen" sondern nebenbei, während man zusammen mit anderen Ziele verwirklicht, die man sich im Idealfall selber gesetzt hat, wie z.B. ein selbst erdachtes Spiel zu programmieren.
Mitchel Resnick geht es dabei im Kern nicht nur um das "Lernen zu Programmieren" sondern vor allem auch um das "Programmieren um zu Lernen“. (Siehe sein 12 Minuten Vortrag “Rethinking Learning in the Digital Age” ).
Oder erweitert, indem auch die "Maker-Bewegung" eingeschlossen wird: Groß und Klein lernen nicht dadurch am besten, dass sie sich theoretisch mit einer Sache beschäftigen, sondern indem sie gemeinsam etwas herstellen, basteln, erfinden...ein Projekt realisieren, bei dem das Lernen nur nebenbei geschieht, als Mittel zum eigentlichen selbstbestimmten Ziel.
Mitchel Resnick macht deutlich, dass Computer und Technologie dabei zwar fantastische Hilfsmittel sind, aber das entscheidende ist, die Vorgehensweise selber zu überdenken und das gemeinsame kreative Gestalten, das "Spielen und Basteln", in den Vordergrund zu stellen: Seine Arbeitsgruppe heißt nicht umsonst "Lifelong Kindergarten Group". Sie ist am Medialab, einer Fakultät des renommierten Massachusetts Institute of TechnologyMIT angesiedelt
, wo Seymour Papert mit „Logo“ schon 1967 die erste „Programmiersprache für Kinder“ erfand, die bereits einige der späteren Scratch-Ideen enthielt, wie die Turtle-Grafik
, bei der man sich den Malstift wie eine Schildkröte vorstellt, deren Bewegung das Programm steuert.
Als Scratch 2007 veröffentlicht wurde, blickte es bereits auf viele Vorgänger und eine lange Erprobungszeit zurück: Schon 2002 begann die Entwicklung unter Leitung von Mitch Resnick, der heute als ehemaliger Schüler und Nachfolger von Seymour Papert das Scratch Team leitet (siehe hier). Sein Chefentwickler John Maloney hatte zuvor Squeak-Smalltalk mitgeprägt, das als Entwicklungsumgebung für Scratch 1.x einfloss, so dass man Logo als den Vater und Squeak als die Mutter von Scratch betrachten könnte. Dieses Squeak, incl. der darin enthaltenen Lernumgebung E-Toys, das auch Bestandteil des „One Laptop per Child Projekt“ war, entstand in den 90er-Jahren unter der Leitung von Alan Kay, zunächst von Apple, später von Disney finanziert, heute OpenSource.
Turing Preisträger und Informatik-Urgestein Alan Kay wollte mit Squeak eine neue bessere Implementierung von Smalltalk realisieren, um seiner Vision vom „Computer, den selbst Kinder verstehen“ näher zu kommen. Diese reicht bis in die 70er Jahre zurück, als seine „Learning Research Group“ am sagenumwobene XeroX-PARC-Lab die Grundlagen für fenster- und mausorientierte Betriebssysteme und viele andere Innovationen legte, die übrigens Steve Jobs dort „entdeckte“ was den ersten Apple-Mac-Rechner ermöglichte. Der Kern all dieser damaligen Innovationen war das objektorientierte Smalltalk, das bis heute viele populäre Programmiersprachen nachhaltig beeinflusste, selber aber – auch nach über 40 Jahren noch für viele zu innovativ – eher als ein Außenseiter unter den Programmiersprachen gilt.
Die Entwicklung immer alltagstauglicherer Programmiersprachen setzt sich auch aktuell fort: So geht Snap!/BYOB (2010/2014) im Bereich der Erwachsenenbildung weit über die Möglichkeiten traditioneller Programmierlern-Sprachen hinaus, trotz der spielerischen Anmutung aus seiner Scratch-Herkunft. ScratchJr (2014) wiederum ist einfacher und damit Grundschul- bzw. sogar Kindergartentauglich. Beetle Blocks (2015) holt die mit Logo erfundene TurtleGraphic ins dreidimensionale und macht sie „3D-druckbar“.
Die aktuellste Entwicklung kommt aus den CDG Labs, einer von Alan Kay geleiteten und SAP gesponserten Innovationsschmiede, in der u.A. -#John Maloney, -#Jens Mönig, -#Yoshiki Oshima und andere „alte Hasen“ aus dem Smalltalk-Umfeld eine Programmiersprachen mit dem Arbeitstitel GP = „Extensible Portable General Purpose Block Language For Casual Programmers" entwickeln. GP soll so einfach sein wie Scratch, aber so leistungsfähig wie eine Profi-Programmiersprache für den allgemeineren Bedarf. Als erste blockorientierte Sprache ist es „in sich selber implementiert“: Der gesamte Quellcode der GP-Entwicklungsumgebung besteht also aus Scratch-ähnlichen Block-Skripten, was zeigt, dass damit auch komplexe Projekte machbar sind. Außerdem soll sich das GP-Entwicklungssystem eigenständig in die Programmiersprache C übersetzen können und somit leicht auf jede Plattform übertragbar sein. Auf der Scratch-Konferenz 2015 in Amsterdam waren die Besucher eines GP-Workshops begeistert, eine erste „Pre Alpha“-Version selber testen zu können, auch, weil GP über eine reinen Programmier-Lern-Sprache hinausgeht: Alan Kays langfristiges Motto „The best way to predict the future is to invent it“ schien so, von den 70ern bis in die Gegenwart und Zukunft live erlebbar.
Weiterführende Links
- Vergleich von blockbasierten Programmiersprachen
- Erziehungsorientierte_Programmiersprachen
- Lowering the Barriers to Programming - a survey of programming environments and languages for novice programmers, Mai 2003, CAITLIN KELLEHER (Carnegie Mellon University) and RANDY PAUSCH (Carnegie Mellon University)
Seymour Papert
- The Seeds That Seymour Sowed - by Mitch Resnick, 3.2.2017
- Falling in Love with Seymour’s Ideas - Mitchel Resnick, March 25, 2008
- DER GEISTESSTÜRMER – ZUR ERINNERUNG AN SEYMOUR PAPERT - Heinz Nixdorf Museum, 30.08.2016 - http://blog.hnf.de/